Die magischen Kreise von Tecklenburg
Oder: „Wie der Bambusdschungel von der Weinstraße (Seeheim-Jugenheim) nach Tecklenburg und zum Kölner Dom kam.“
Unser erster Besuch bei Albrecht Weiß hatte wie sich später herausstellte ungeahnte Folgen. Wir wurden von Albrecht und Sun Hi herzlich begrüßt und bei kulinarischen koreanischen Spezialitäten wurden in geselliger Runde Neuigkeiten ausgetauscht und das Fachsimpeln nahm seinen Lauf. Gestärkt und mit ersten Informationen versehen stiegen wir bei morgentlichem Sonnenschein in den Weinberg ein. Ein erster Eindruck war einfach umwerfend. Wie konnte Bambus in so einer exponierten Lage zu einem für Mitteleuropa gigantischen Exotenhügel heranwachsen? Wir fühlten uns in einer anderen Welt und genossen das Panorama der Weinberge. Waren wir in Prafrance oder gar in China? Bambusrohre wie vivax, prominens, violascens hatten hier Ausmaße von 8-9 cm Durchmesser und Höhen von über 10 m. Hier standen keine Einzelpflanzen sondern ein zusammenhängender Bambuswald mit eigener Atmosphäre. Als Exotenfreunde und Bambusliebhaber kamen wir ins schwärmen und vergaßen die Zeit. Immer wieder gab es Neues zu entdecken und wir diskutierten darüber warum der Bambus gerade hier unter widrigen Bedingungen so vital geworden ist. Ein absolut trockener Standort in Hanglage und selbst im Sommer kaum Niederschläge! Ein Indiz für die Anpassungsfähigkeit von Bambus! Albrecht führte uns noch in andere Gartenteile und zeigte uns seine Lieblinge: Eine Libanonzeder, eine Araukarie und eine mächtige Sequoia etc. beeindruckten uns. Doch dann kam das eigentlich Tragische: Der Bambus muß weichen, die Untere Landschaftsschutzbehörde sprach hier eine deutliche Sprache, kein wenn und aber; die Frist war abgelaufen. In diesem Moment wurde die Idee geboren, den Bambus zu retten und ihn nach Köln bzw. Tecklenburg umziehen zu lassen. Eine logistische Herausforderung oder Spinnerei von verklärten Romantikern? Ist dies überhaupt in diesem schwierigen Gelände zu schaffen? In dieser Situation vertrauten wir ganz auf die Fähigkeit von Arndt Pergande. Ein Landschaftsgärtner und unheilbarer Exotenfreak. Besondere Vorliebe: Bambus, Palmen und Co. Da er hartes Arbeiten gewöhnt war, trauten wir ihm am ehesten die gewaltige Aufgabe und Kraftanstrengung zu. Im Sommer ’03 wurde das Projekt „Bambus gen Köln und Tecklenburg“ Wirklichkeit. Nach kurzen Vorbereitungen (wir hatten wenig Zeit) wurden selbstgefertigte Spaten mit speziellem Eisenrohr in den Geländewagen gepackt und Fernando, ein gebürtiger Spanier, als Aushilfe angeheuert. Für gutes Essen und Betreuung sorgte Sun Hi. Aus welchem Holz Albrecht geschnitzt war, stellte sich schnell in den nächsten Tagen heraus. Ohne zu zögern legte er selbst Hand an und war in der Arbeitscrew integriert. Er überraschte uns nicht nur mit philosophischen Explorationen, sondern auch mit Kraft und Ausdauer. Aus anfangs 5 veranschlagten Tagen wurden nach und nach 3 mühevolle Wochen schweißtreibender Arbeit. Der Bambus musste Stück für Stück ausgegraben und in kompakter Form balliert werden. Eine zentner-schwere Arbeit ohne technische Hilfe und Großgeräte. Der selbstgefertigte Rode-Spaten war das einzige Hilfsmittel. Um die ballierten Bambuspflanzen (50-100 kg) endgültig vom Berg runter zu bekommen, mussten sie zwischengelagert werden, da der Sattelschlepper nicht geländegängig war. Die Ballen wurden einzeln bergab zum Sattelschlepper verbracht. Eine Tortur für Mensch und Pflanze!! Die Zeit wurde knapp. Die Spedition hatte ein festes Zeitlimit und so wurde kräftig auf die Tube gedrückt. Nach dem Verladen machte sich tiefe Zufriedenheit breit und die Gewissheit das Projekt erfolgreich abzuschließen. Jetzt war auch wieder Zeit zum Träumen: Wie wird sich der Bambus in den nächsten 5-10 Jahren am neuen Standort in Köln bzw. Tecklenburg entwickeln. Gelingt das Umpflanzen, bleibt das Gefühl, etwas Einmaliges geschafft zu haben – und Albrecht kann seinen Bambus jedes Jahr in Köln oder Tecklenburg besuchen. Aber zurück zum Projekt. Das Ende der Bambusexpedition war noch durch einige Unannehmlichkeiten geprägt. Jost Wallis erhält um 3.00h die Nachricht: Der Sattelschlepper kommt. In 3 h muss alles ausgeladen sein. Schnell wurden im Ort zwei Helfer und ein Minibagger organisiert. Alle 3 Schwerarbeiter hatten schon das 60te Lebensjahr überschritten aber den Ehrgeiz von jungen Packeseln. Die witzige Idee mit dem Minibagger zwei große Kreise auszuheben, um die ballierten Bambusse einzuschlagen, kam Jost Wallis spontan und zufällig. – Oder vielleicht keltisches Erbe? Kurz vor dem Grundstück stoppte der Sattelschlepper. Da er 4 Meter hoch war, musste er sich erst die Zufahrt freischneiden. Endlich 190 Lebensjahre machten sich daran die Bambuskreise zu pflanzen. Ein Fingerbruch, Schnitt- und Schürfwunden und Muskelkater hoch drei hinterließ auch diesmal wieder der Bambus. Aber diesmal an seinem neuen Bestimmungsort! Seither bleiben Fußgänger, Wanderer stehen, um die seltsamen Bambuskreise zu betrachten. Auch Sportflugzeuge umkreisen immer wieder das Gelände. Der Bambus hat eine magische Anziehungskraft. (Oder sind es die „Kreise“?) So wurden beim legendären Sommerfest bei Jost die Magischen Kreise von Tecklenburg geboren. Als Fazit bleibt: Der Bambus zieht so seine Kreise und hat neue Freundschaften gestiftet. Köln — Tecklenburg — und Seeheim-Jugenheim sind auch menschlich zusammengewachsen.
Reportage: Werner Greschner